Der Blindenführhund ist der einzige Servicehund, der von den Krankenkassen als "Mobilitätshilfe" anerkannt ist und bezahlt wird.
Ich danke Frau Dr. Maria Röbbelen für den nachfolgenden Beitrag über den Blindenführhund Lissy:
Die Freude ist Lissy anzumerken. Die belgische Schäferhündin wedelt lebhaft mit dem Schwanz, sobald Helmer Sanders Anstalten macht, mit ihr die Wohnung zu verlassen. Wie jeder andere Hund liebt sie es, nach draußen zu gehen. Allerdings springt sie nicht umher und läuft auch nicht zur Tür, sondern bleibt still neben ihrem Herrchen stehen, nur der Schwanz geht weiter munter hin und her. Sobald er ihr das Führgeschirr umgetan hat, ist Lissy im Dienst. Sie ist nämlich Blindenführhund. Ihre Aufgabe ist es, "ihren Menschen" sicher durch die Stadt zu führen. Offensichtlich tut sie das genau so gerne, wie andere Hund es lieben, Gassi zu gehen.
"Treppe" ist das erste Kommando für Lissy, sobald Herr Sanders die Wohnung verlassen hat. Die Hündin läuft bis zum Treppenbeginn und bleibt dort stehen. Erst nachdem ihr Herrchen mit seinem weißen Stock die erste Stufe ertastet hat und losgeht, läuft Lissy die Treppe runter. Sobald die Stufen zu Ende sind, bleibt der Hund wieder stehen. Auf "Treppe" zeigt Lissy den nächsten Absatz an, indem sie wieder stehen bleibt. Die beiden sind ein gut eingespieltes Team. Einem unbefangenen Beobachter dürfte das kurze Stocken zu Beginn und am Ende der Stufen kaum auffallen.
Bis zu seiner Erblindung war Helmer Sanders als Landschaftsgärtner bei der Standortverwaltung in Wilhelmshaven beschäftigt. Gerne hätte er dort noch weiter gearbeitet. Dass es möglich ist, auch ohne Augenlicht ein guter Gärtner zu sein, hat Herr Sanders in den letzten 20 Jahre bewiesen. Auf dem Gelände des Kleingärtnervereins Wilhelmshaven in Heppens hat er 1984 begonnen, einen Garten als Blindenbegegnungsstätte anzulegen. Neben gepflasterten Wegen und Rasenkantensteinen helfen Laufleinen den Blinden und Sehbehinderten bei der Orientierung. Hier jätet Herr Sanders Unkraut, mäht den Rasen und schneidet Rosen. "Wahrscheinlich passiert es mir häufiger als einem Sehenden, dass ich plötzlich eine dicke Nacktschnecke in der Hand habe oder mich an den Stacheln der Rosen steche," räumt Helmer Sanders ein. Aber der gepflegte Garten ist tipptopp in Ordnung. Bei Bedarf wirft seine Frau Helga einen kritischen Blick, ob das Ergebnis seiner Arbeit gut aussieht, oder ob er noch etwas korrigieren muss.
"Den größten Fehler, den man als Blinder machen kann, ist sich abzukapseln und sich wegen seiner Behinderung aufzugeben." Auch in seiner Arbeit als Vorsitzender des Blindenvereins bemüht sich Helmer Sanders, anderen Mut zu machen. "Natürlich gibt es Situationen, in denen wir Hilfe brauchen. Aber es ist wichtig, sich so viel wie möglich selbst zuzutrauen". Dabei hilft ihm auch sein Blindenführhund.
"Lissy ist schon mein fünfter Hund," erzählt Herr Sanders. "Für mich bedeutet der Führhund ein großes Stück Selbständigkeit. Durch ihn kann ich meiner eigenen Wege gehen, wenn meine Frau mal etwas anderes vor hat." Über dreißig Befehle kennt Lissy. Den Weg zum Ziel muss ihr Herrchen kennen. Mit "links", "rechts", "Zebrastreifen", "Ampel" dirigiert er den Hund in die richtige Richtung. Um sein Herrchen zu führen, muss sich der Blindenführhund konzentrieren. Er muss einen Weg suchen, der nicht nur breit genug für das Gespann aus Hund und Mensch ist, sondern er muss auch alle Hindernisse und Gefahrenquellen für seinen Menschen beachten, die einen Hund normalerweise überhaupt nicht interessieren würden. Das fängt mit einer Pfütze an, in die wir Menschen nicht gerne treten, und hört bei einem Stolperstein auf dem Weg nicht auf. Ein Schild oder ein Ast, der in Kopfhöhe des Herrchens hängt, muss genauso umgangen werden wie ein Auto, das auf dem Gehweg parkt.
Ein Blindenführhund kennt eine ganze Menge Gegenstände und kann sein Herrchen dorthin führen. Auf "Briefkasten" führt Lissy ihr Herrchen so zu einem Postkasten, dass er den Briefschlitz bequem finden kann. "Tür" bedeutet, dass Lissy mit ihrem Kopf genau unter der Klinke stehen bleibt. Auf "Bank" sucht sie die nächste Sitzgelegenheit. In der Sparkasse bedeutet "Tresen" zum Schalter führen. Auf "Lift" sucht sie einen Fahrstuhl und auch eine "Haltestelle" findet der Hund.
Der gute Orientierungssinn eines Hundes ist besonders in unbekannter Umgebung eine große Hilfe. In einer fremden Stadt wird der Blindenführhund den Weg zum Hotel immer wieder finden, selbst wenn sein Herrchen, nicht mehr weiß, wo er sich gerade befindet. Wer sich schon einmal in einer fremden Stadt verlaufen hat, kann sich vorstellen, wie beruhigend das ist, einen so klugen Helfer dabei zu haben.
Die Fähigkeiten eines Blindenführhundes bedeutet nicht, dass der Mensch nichts zu tun hat. Das Gespann ist ein Team, in dem jeder seine Aufgabe hat. Zum einen muss der Blinde genau auf die Reaktionen des Hundes achten, um es dem Tier leicht zu machen, ihn zu führen. Jeder Tänzer weiß, wie anstrengend es sein kann, wenn sich eine Frau nicht führen lassen will. Bei manchen Aufgaben muss der Mensch dem Hund helfen. So sind Hunde farbenblind und können nicht unterscheiden, ob eine Ampel auf rot oder auf grün steht. "Leider sind bei uns nicht alle Ampeln mit akustischen Signalen ausgestattet, wie das in Frankreich oder Kanada der Fall ist." bedauert Herr Sanders. "Für uns wäre das wirklich sehr wichtig." Also muss der Blinde an einer Ampel oder einer Kreuzung an dem Geräuschen erkennen, in welche Richtung sich der Verkehr bewegt. Erst wenn kein Querverkehr mehr fließt, sondern die Autos seitlich fahren, gibt er den Befehl "rüber". Obwohl ein Führhund auf Gehorsam erzogen ist, muss das Tier notfalls diesen Befehl verweigern, wenn eine gefahrlose Überquerung der Straße nicht möglich ist. Diese intelligente Kommandoverweigerung ist eine der beeindruckenden Leistungen von Blindenführhunden. "Ich habe noch nie erlebt, dass Lissy ohne einen wirklich wichtigen Grund nicht gehorcht hat" berichtet Herr Sanders stolz. Notfalls wird sich ein Hund in den Weg stellen, um sein Herrchen vor einem Abgrund oder einer Rolltreppe zu schützen.
Für Gehbehinderte und Rollstuhlfahrer ist es von Vorteil, wenn Bordsteine abgesenkt sind. Für einen Blindenführhund kann es dagegen dadurch schwieriger werden. Auf den Befehl "Bordstein" führt er bis zum Straßenrand und bleibt dort stehen. Das funktioniert aber nur, wenn die Kante durch Material und Absatz deutlich zu erkennen sind. "Uns würde schon ein Höhenunterschied von zwei Zentimetern reichen. Das kann der Hund erkennen und ich kann den Bordstein auch mit meinem Blindenstock ertasten." Dieser Absatz ist auch für Rollstühle zu überwinden. Deshalb setzt sich Herr Sanders im Behindertenbeirat der Stadt Wilhelmshaven dafür ein, dass die Bordsteinabsenkung nicht zu radikal erfolgt.
Viele Autofahrer bremsen ein wenig ab und lassen das Auto langsam ausrollen, wenn sie auf eine rote Ampel zufahren oder Fußgänger an einem Zebrastreifen stehen sehen. Das ist eine energiesparende Fahrweise, die außerdem die Bremsbelege schont. Für Sehende ist durch die Verlangsamung des Fahrzeuges klar: Der Autofahrer hat den Fußgänger bemerkt und dieser kann die Straße queren. Blindenführhunde dagegen haben gelernt, dass fahrende Autos gefährlich sind. Erst wenn das Auto wirklich steht und auch aus der anderen Richtung kein Fahrzeug kommt, kann der Hund seinen Menschen über die Straße führen. Um die Situation zu überblicken, braucht ein Hund etwas länger als ein sehender Mensch. Auch Handzeichen kann das Tier nicht interpretieren. Ganz verkehrt wäre es, jetzt zu hupen, denn aus Hundeperspektive kann das nur Gefahr bedeuten. Halten Sie deshalb richtig an, wenn Sie ein Gespann am Straßenrand sehen und haben Sie ein wenig Geduld. Der Hund wird über die Straße führen, sobald er sicher ist, dass der Weg frei ist.
Das Verkehrteste, was man tun kann, ist dem Hund ins Geschirr zu greifen oder den Blinden einfach am Arm über die Straße zu zerren, wie es Herrn Sanders einmal passiert ist. Sicher ist das gut gemeint, aber es verwirrt einen Hund total, wenn ihm plötzlich ein Fremder die Führungsrolle abnimmt. Eine solche Verunsicherung ist für einen Führhund ein ernsthaftes Problem, denn er muss sich seiner Aufgabe sicher sein, um gut arbeiten zu können. Wenn man den Eindruck hat, der Blinde kann Hilfe gebrauchen, sollte man fragen, ob man helfen kann. Seien Sie nicht beleidigt, wenn die Hilfe abgelehnt wird, denn es ist doch prima, wenn jemand alleine zurecht kommt.
"Manchmal fragen mich Leute auf der Straße, ob sie meinen Hund streicheln dürfen" erzählt Herr Sanders. "ich sage dann immer nein, denn Lissy muss sich auf ihre Aufgabe konzentrieren, wenn sie im Dienst ist." Wer also einen Blindenführhund bei der Arbeit unterstützen will, sollte ihn nicht ansprechen, auch keinen Blickkontakt zu dem Tier suchen und vor allen Dingen andere Hunde fern halten. Natürlich lernen Blindenführhunde in ihrer Ausbildung, dass sie während der Arbeit nicht spielen oder an anderen Hunden schnuppern dürfen, aber es ist schwer für ein Tier, sich nicht von Artgenossen ablenken zu lassen.
Damit ein Blindenführhund diese schwierigen Aufgaben auf Dauer bewältigen kann, braucht er auch Freizeit, um seinen eigenen Bedürfnissen nachzugehen. Jeder Hund muss in Ruhe schnuppern können, sein Geschäft erledigen, mit anderen Hunden spielen, toben und sich müde laufen. Ein Blinder, der sich überlegt, einen Führhund zuzulegen, muss sich also genauso wie jeder andere Mensch gut überlegen, ob er einem Haustier gerecht wird. Ein Hund braucht bei jedem Wetter Auslauf, sein Herrchen muss ihn pünktlich füttern, mit ihm zum Tierarzt gehen, das Fell pflegen und in Kauf nehmen, dass ein Tier auch mal Dreck und Hundehaare in die Wohnung trägt. Und schließlich muss der Rest der Familie damit einverstanden sein, mit einem Hund zu leben. Dies Überlegungen mögen der Grund sein, weshalb nur etwa 2 % aller Blinden einen Führhund besitzen, obwohl diese "Mobilitätshilfe" von der Krankenkasse bezahlt wird.
Wenn Menschen alt werden, gehen sie irgendwann in Rente oder Pension. Bei uns ist der Zeitpunkt gesetzlich vorgeschrieben. Blindenführhunde dagegen entscheiden selbst, sich zur Ruhe zu setzen. Sie hören einfach auf zu arbeiten. Für den Blinden bedeutet dies, sich nach einem neuen Hund umzusehen.
Einen guten Blindenführhund zu finden ist nicht einfach. In Deutschland kann jeder, der einen Gewerbeschein hat, eine Hundeschule aufmachen und Führhunde ausbilden. Natürlich sind die meisten der etwa 100 Führhundschulen in Deutschland verantwortungsbewusst und sorgen für eine gute Ausbildung der Tiere. Aber wie überall, wo es Geld zu verdienen gibt, tauchen Scharlatane und Betrüger auf. So wusste eine Frau aus Hannover zu berichten, dass man ihr einen in Ungarn gestohlenen Hund verkauft hat. Blindenverbände fordern deshalb schon lange einheitliche Qualitätskriterien für die Ausbildung und Leistung von Blindenführhunden. Schließlich sollen sich die künftigen Besitzer im wahrsten Sinne des Wortes blind auf den Hund verlassen können. Ein Hund der sein Herrchen um eine Bahnschranke herumführte, weil er es für ein einfaches Hindernis hielt, hätte den Blinden in ernste Gefahr bringen können. Der Hund, mit dem dies - zum Glück ohne fatale Folgen - passierte, hätte mit Sicherheit eine gründlichere Ausbildung bekommen müssen.
Wer mehr über Blindenführhunde wissen möchte, kann sich bei Blindenverbänden erkundigen oder im Internet weiter lesen: